Beweiswert einer ausländischen Krankschreibung

Ausländische Krankschreibung. Der gleiche Beweiswert wie einer inländischen AU kommt einer im Nicht-EU-Ausland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) zu. Rechtfertigen die Umstände allerdings Zweifel an der Richtigkeit, führt dies zu einer Beweislastumkehr.
In einem Revisionsverfahren hat sich das BAG mit dem Beweiswert einer in einem Nicht-EU-Land ausgestellten AU befasst. Hier gelten nach der Entscheidung des BAG die gleichen Regeln wie bei einer in Deutschland oder innerhalb der EU ausgestellten AU. Wenn die Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls ernsthafte Zweifel am Beweiswert der Bescheinigung begründen, kann der grundsätzlich bestehende Beweiswert erschüttert sein.
Arbeitgeber erhält AU eines tunesischen Arztes
Über die Revision einer Arbeitgeberin gegen ein zweitinstanzliches Urteil eines LAG hatte das BAG zu entscheiden. Ein seit dem Jahr 2002 beschäftigter Lagerarbeiter bei der beklagten Arbeitgeberin hatte im Sommer 2022 in Tunesien seinen verbracht. Zwei Tage vor der am 9.9.2022 endenden Urlaubszeit teilte er seine Krankschreibung bis einschließlich 30.9.2022 der Beklagten unter Beifügung eines in französischer Sprache abgefassten ärztlichen Attestes eines tunesischen Arztes mit.
Bescheinigte Reiseunfähigkeit
Als Krankheitsbild hatte der tunesische Arzt schwere Ischiasbeschwerden diagnostiziert und diesbezüglich eine strenge häusliche Ruhe bis zum 30.9.2022 verordnet. Zusätzlich enthielt die AU den ausdrücklichen Hinweis, dass der Patient sich während dieser Zeit nicht bewegen und auch nicht reisen dürfe.
Beschwerliche Reise nach Deutschland zum Krankheitsende angetreten
Der Kläger buchte bereits einen Tag nach dem Arztbesuch ein Ticket für die Autofähre von Tunis nach Genua für den 29.9.2022, welche er letztendlich auch nutzte, um anschließend mit seinem PKW zu seinem Heimatort in Deutschland zu fahren. Am 4.10.2022 legte er die AU eines deutschen Arztes vor, der eine fortlaufende Arbeitsunfähigkeit bis zum 8.10.2022 bescheinigte.
Entgeltfortzahlung durch Arbeitgeberin verweigert
Die beklagte Arbeitgeberin verweigerte die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und kürzte die Vergütung für den Monat September 2022 von vertraglich geschuldeten 3612,94 Euro brutto um 1583,02 Euro. Das LAG verurteilte die Beklagte nach einer klageabweisenden Entscheidung des ArbG in 2. Instanz antragsgemäß auf Zahlung. Die hiergegen eingelegte Revision der Arbeitgeberin hatte ein BAG Erfolg.
Auslands-AU gleicher Beweiswert
Die Rechtsauffassung der Vorinstanz bestätigte das BAG, dass einer in einem Land außerhalb der EU ausgestellten AU grundsätzlich der gleiche Beweiswert zukommt wie einer in Deutschland ausgestellten Bescheinigung. Allerdings sei es Voraussetzung, dass die AU erkennen lasse, dass der ausländische Arzt zwischen einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Erkrankung und einer einfachen Erkrankung differenziert hat. Vorliegend sei diese Voraussetzung erfüllt.
Zutreffend gewürdigt: Einzelaspekte von der Vorinstanz
Nach der Beurteilung des BAG hatte die Vorinstanz auch zutreffend die einzelnen, für und gegen die Beweiskraft der AU sprechenden Umstände gewürdigt.
- Zwar sei die vom Arzt bescheinigte AU für 24 Tage ohne Anordnung einer Wiedervorstellung des Patienten kritisch, rechtfertige aber für sich genommen noch keine konkreten Zweifel am Beweiswert des Attestes.
- Auch die Buchung eines Fährtickets am Tag nach dem Arztbesuch für den 29.9.2022 sei isoliert betrachtet noch kein Anlass, an dem Bestehen der Arbeitsunfähigkeit des Klägers zu zweifeln.
- Gleiches gelte für die Rückreise mit dem PKW zum Ende der Erkrankung am 29.9.2022 sowie
- für die Tatsache, dass der Kläger in den Jahren 2017-2020 dreimal zum Urlaubsende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt habe.
Zweifel am Beweiswert begründet die Gesamtbetrachtung der Einzelumstände
An der Entscheidung der Vorinstanz bemängelte das BAG jedoch, dass diese die einzelnen für und gegen den Beweiswert der AU sprechenden Aspekte lediglich isoliert gewürdigt, diese aber nicht einer Gesamtbewertung unterzogen habe. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz begründen die auffälligen, für sich genommen noch unverfänglichen Einzelaspekte nach der Bewertung des BAG in ihrer Gesamtheit ernsthafte Zweifel am Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Arbeitsunfähigkeit muss durch Kläger nachträglich bewiesen werden
Diese von der Vorinstanz nicht berücksichtigten ernsthaften Zweifel am Beweiswert der AU führen nach der Entscheidung des BAG dazu, dass den Kläger nachträglich die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit trifft. Nur wenn der Kläger dieser Darlegungs- und Beweislast nachkomme, bestehe für die fragliche Zeit ein Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG.
Vorinstanz muss erneut entscheiden
Das BAG hat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen, da die Vorinstanz die für die Entscheidung erforderlichen Feststellungen noch nicht vollständig getroffen hatte.
(BAG, Urteil v. 15.1.2025, 5 AZR 284/24)
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